Der Tag nach der Operation! Oder auch nicht Operation!
Mein Versuch, am Tag der OP anzurufen, scheiterte, weil ich partout nicht durchkam – dachte ich. Am nächsten Tag wußte ich, dass mir mein Unterbewusstsein einen Streich gespielt hatte oder es mich schützen wollte.
Immer wieder hatte ich am OP-Tag versucht, im Krankenhaus anzurufen. Immer wieder ohne Erfolg. Aber nur, weil ich nicht verstanden hatte, dass ich zur Vermittlung eine Zahl auf dem Telefon wählen mußte, um an den richtigen Ansprechpartner zu gelangen. Vielleicht wollte ich ja auch einfach nur nicht, weil mir unbewußt wohl schon klar war, was passierte.
Eine halbwegs gute Nacht und der nächste Tag brachten mich weiter. Nachdem ich dann endlich jemanden erreicht hatte, wurde mir rasend schnell klar, dass, da mein Vater nicht mehr auf der Intensivstation und schon wieder auf „seiner“ Station war, es wohl nicht so gut stand, wie wir alle hofften.
Ein etwas mühsam gesuchtes Gespräch mit einem der Ärzte ließ mich Gewissheit bekommen. Der Kehlkopf konnte nicht entfernt werden, da nicht genug gesunde Schleimhaut vorhanden war, um die Lücke zum Ausgang des Luftröhrenschnittes schließen zu können. Fazit: inoperabel!
Was nun?
Der Alternativplan war eine Strahlentherapie, die deutlich schwerer werden würde als die nach der OP und deutlich mehr Nebenwirkungen und Probleme zeigen würde. Alleine die Tatsache, dass es einer speziellen Klinik bedürfte, war schon schwer genug. Aber dass es dank der Sommerferien auch noch schwer wurde, eine solche Klinik in unserer ach so großen Stadt zu finden, die zeitnah einen Platz für ihn, den 78-jährigen, hatte, war nervenaufreibend und zog sich in die Länge. Unendlich in die Länge!
Jedes Mal, wenn ich wieder jemanden ansprach und darauf hinwies, dass uns die Zeit davonläuft, bekam ich zwar Verständnis und verbale Unterstützung, aber an der Datscha als solches konnte dadurch auch niemand etwas ändern!
Der heiße Sommer und die nervenaufreibende Wartezeit zog die Tage in die Länge. Wir versuchten das Beste daraus zu machen. Tage um Tage, die wir gemeinsam zumindest für ein paar Stunden verbrachten. In denen wir auch lachten und versuchten das Schreckgespenst der Krankheit nicht die Oberhand bekommen zu lassen. Diese Stunden der gemeinsamen Zeit wechselten sich mit Stunden der Sorge Zuhause ab. Viele Gedanken um das, was sein könnte, was war, und das, eventuell erledigt werden müßte, raubten mir manche ruhige Minute.
Aber auch schöne Momente, in denen wir Spaß hatten, weil wir über Vieles lachten, uns erinnerten, uns austauschten und mein allseits geliebter Vater auch noch an den Themen teilnehmen konnte, die uns beschäftigten neben seiner Krankheit, machten die Zeit auch einmalig, unwiederbringlich und einzigartig.
Ich werde nie vergessen, wie er sich gefreut hat, als ich ihm ein alkoholfreies Hefeweizen mitbrachte, das er dann mit Strohhalm aus dem Becher trank.
Oder mein Großer, der mitkam, ihn zu besuchen, und ihm erzählte und ihm vorspielte, wieviel Spaß und Abwechslung er in seiner Ausbildung beim Radio hatte. Wie die beiden gemeinsam in seinem Krankenhausbett saßen und sich amüsierten über viele Dinge, die im Alltag so ablaufen. Und wie stolz mein Vater war auf seinen großen Enkel, der wirklich in die Richtung geht, die er ihm schon als Zweijähriger vorausgesagt hat.
Oder wie wir es beide oder auch zu dritt mit meinem Herzensmenschen genossen haben, wenn die Küchenfee uns Kaffee oder Eis brachte und wir in diesem Krankenzimmer, das unser Zuhause wurde, das alles wunderbar fanden. Fast wie in einem Sternehotel.
Und auch die nach mehreren Wochen endlich durchgesetzten Ausflüge in den Garten des Krankenhauses, wo wir die Bäume und den Himmel bewunderten, die uns eher wie auf dem Land schienen als mitten in einer Großstadt.
Die Gespräche über die Familie. Mein Vater hatte ursprünglich 16 Geschwister und war einer der Jüngsten.
Sein verschmitzter Blick, den ich immer automatisch mit ihm verbinde, wenn ich an ihn denke, den er hatte, wenn er sich über etwas amüsierte oder mich ein bißchen hochnahm.
Aber auch die Zeiten, in denen wir still beieinander saßen, Hände haltend und ich lesend, um das Gefühl des Ich-muß-etwas-sagen-und-weiß-nicht-was aushalten zu können. Und somit aber doch bei ihm sein zu können.
Zeiten, die in meinem Herzen sind und mir immer in Erinnerung bleiben werden. Und ihm hoffentlich auch!